Studienstart: Wenn plötzlich alle medizinischen Fragen an Dich gehen
Die größte Hürde ist geschafft und Du hast nun endlich ein Platz für das Studium der Humanmedizin bekommen. Kaum beginnst Du das Studium, kommen alle aus Deinem Verwandten-/ Bekanntenkreis mit ihren Problemen zu Dir gerannt. Schließlich studierst Du, um später Arzt zu werden, dann solltest Du Dich mit allem auskennen und natürlich mehr Zeit für alle haben als ihre Hausärzte/Fachärzte.
Gut gemeint, aber überfordernd
Du wirst sicherlich merken, dass diese Aufmerksamkeit zwar gut gemeint ist und eine gewisse Wertschätzung ausdrückt, doch Dich auch sehr unter Druck setzt. Was passiert denn, wenn Du etwas anderes empfiehlst als beispielsweise der behandelnde Arzt deiner Oma nur um am Ende festzustellen, dass Deine Empfehlung nicht alle ihre Probleme berücksichtigt und dementsprechend nicht die beste Wahl für sie ist?
Warum Du noch keine ärztliche Verantwortung tragen solltest
Dieser Bericht soll Dir genau bei solchen Problemen helfen und ein paar Tipps aufzeigen, wie Du damit im besten Fall umgehen kannst. Am Anfang meines Studiums war ich enorm motiviert und wollte auch allen so gut wie möglich helfen. Ich las mir deshalb sehr gerne noch mal Arztbriefe durch und deckte auf, was nicht gut gelaufen war und wie das im Arztbrief formuliert wurde. Nach einiger Zeit merkte ich, dass die Menschen in meinem Umkreis immer mehr das Vertrauen zu ihren Ärzten verloren und sich viel zu sehr auf mein Wort verließen, was mich wiederum in eine unkomfortable Position brachte.
Wenn Hilfe das Vertrauen zum Arzt untergräbt
Fakt ist: Auch Ärzte machen Fehler. Gerade bei diesen Arbeitsbedingungen ist dies kein Wunder. Jedoch sind die Fehler der Ärzte häufig gravierender, da sie ein Menschenleben betreffen. Wenn es die falsche Tablette ist, ist das in den meisten Fällen nicht allzu schlimm und der Patient muss sich darüber keine Sorgen machen. Wenn es jedoch ein Fehler während einer Operation ist – beispielsweise ein falscher Schnitt – dann kann dies gravierende Probleme für den Patienten mit sich bringen. Viel schlimmer sind eigentlich die kleinen Fehler, die entweder verschwiegen werden oder aber so im Arztbrief verpackt sind, dass der Patient nicht versteht, wieso etwas passiert ist. Diese zu entschlüsseln und dann dem Patienten offen darzulegen, kann die Arzt- Patienten-Beziehung erheblich beeinflussen. Dadurch zerstörst Du einerseits das Vertrauensverhältnis zum Arzt, andererseits siehst Du Dich bestimmt verpflichtet, den Patienten über seine Behandlung aufzuklären.
Ärzte sind leider sehr schlecht in diesem Gebiet. Viele können sich Fehler nicht eingestehen und offen zugeben, dass diese auf ihren Mist gewachsen sind. Am Ende bleibst nur Du als enger Vertrauter, der sich zumindest traut, die Wahrheit auszusprechen. Doch Achtung! Das kann auch eine Kettenreaktion des Patienten auslösen. Viele Menschen denken sich dann nämlich „Wenn der Arzt schon hierbei nicht ehrlich war, dann hat er mir bestimmt noch mehr verschwiegen. Vielleicht brauche ich die Blutdrucktablette für meinen Blutdruck nicht und der Arzt wollte mir diese nur verkaufen.“ Das heißt dann wiederrum, dass viele Tabletten eigenmächtig abgesetzt werden, was im schlimmsten Fall lebensgefährlich enden kann!
Die richtige Balance finden
Wichtig ist es für Dich, das gesunde Verhältnis bei dieser Thematik zu finden. Es ist nichts Verkehrtes daran, seinem Bekanntenkreis bei diesen Sachen zu helfen, jedoch solltest Du manchmal auch abwägen, was erzählt werden sollte und was nicht. Du solltest nicht zu viel sagen, um einerseits den Patienten nicht unnötig zu beunruhigen und andererseits das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht komplett auseinanderzureißen. Es gibt Fehler, die unverzeihlich sind und wenn diese mit dem Patienten nicht besprochen wurden, dann ist es – wenn Du um Rat gebeten wirst – Deine Aufgabe Dich an diese Themen vorsichtig heranzutasten und über diese aufzuklären.
Gemeinsam zum Hausarzt statt allein beraten
Ich würde jedoch immer versuchen, den Weg über den Hausarzt/ behandelnden Arzt zu gehen. Wenn Dir beispielsweise Dein Freund sagt, dass er nicht über seine im Raum stehende Herzerkrankung aufgeklärt wurde und dies alles neu für ihn ist, dann verweise ihn gerne nochmal an seinen Hausarzt und biete an mitzukommen. Dadurch erfährst auch Du, wieso manches dem Patienten noch nicht mitgeteilt worden ist.
Wenn Du weißt, dass der Fragende schnell aus der Fassung gerät und mit vielem nicht gut umgehen kann, dann würde ich immer erst selbst versuchen, mit dem Arzt zu sprechen, um zu erfahren, wann der richtige Zeitpunkt ist, Informationen zu teilen. Manchmal gehen Sachen auch einfach unter und der Arzt hat vielleicht einfach vergessen, den Patienten persönlich anzurufen oder wollte das noch in den nächsten Tagen erledigen.
Verdachtsdiagnosen: Vorsicht mit voreiligen Erklärungen
Ich habe auch einige Male erlebt, dass, wenn ich über eine Verdachtsdiagnose genauer aufgeklärt habe, die Patienten dann die genauen Folgen davon wissen wollten. Einerseits ist das natürlich verständlich, bringt Dich jedoch aber ganz schön ins Schwitzen. Wenn Du hierbei zu viel sagst, kannst Du den Patienten enorm beunruhigen und dazu verleiten, sich Medikamente zu besorgen, die für die Erkrankung zwar wichtig sind, aber bei einem Verdacht noch nicht gegeben werden sollten. Aus meiner Erfahrung habe ich gelernt, den Bekannten über diese Diagnose zwar aufzuklären, aber die Diagnostik erst mal in den Vordergrund zu rücken. Erzähle lieber, was alles gemacht wird, um die Diagnose zu bestätigen und was der Bekannte machen muss, damit die Diagnostik anläuft (Arzttermine ausmachen, Überweisungen abholen usw...). Dadurch ist dieser auch erst mal beschäftigt und kommt auch noch nicht auf die Idee sich tiefer mit der Therapie auseinanderzusetzen.
Zurückhaltung in der Vorklinik ist kein Schwächezeichen
Zu guter Letzt möchte ich Dir noch einen wichtigen Rat mitgeben. In den ersten Semestern würde ich mich bei der Beratung des sozialen Umfeldes zurückhalten. Du hast noch nicht den klinischen Abschnitt erreicht und Dein Wissen beruht größtenteils auf Büchern. Bevor Du also anfängst, die Entscheidungen der Ärzte infrage zu stellen, musst Du noch unbedingt mehr Erfahrung mitbringen. Gehe lieber mit in die Gespräche und stelle hier Deine Fragen. Dadurch erreichst Du ein gutes Verhältnis zum Arzt und wirkst nicht arrogant oder anmaßend. Gerade zu diesem Zeitpunkt musst Du Dir selbst gegenüber auch unbedingt eingestehen, dass Du es nicht am besten weißt, sondern erst ein Bruchteil der Medizin kennst. Wenn aus Deinem Bekanntenkreis Fragen aufkommen, dann ist es am besten, vorher schon zu kommunizieren, dass Du zwar „übersetzen“ kannst, aber noch nicht so weit bist, um irgendwelche Therapien empfehlen zu können.
Fazit: Finde Deine Rolle als Medizinstudent:in in der Familie
Du siehst also, dass dieses Thema gar nicht so leicht zu handhaben ist, jedoch auch keine Sache der Unmöglichkeit. Es ist wichtig, die gesunde Mitte zu finden und das wirst Du nach anfänglichen Schwierigkeiten ganz sicher.
Autorin: Saher Dilshad