Die klassische Vorlesung an einer Universität, bei wem ergibt sich dabei nicht folgendes Bild: Man sitzt als Student mit einem Kaffeebecher in der Hand im Vorlesungssaal und lässt sich vom Dozenten berieseln. Ganz anders als in der Schule macht man sich immer mal wieder Notizen, zudem was man als wichtig erachtet und lässt ansonsten sein Blick über den prall gefüllten Saal schweifen, eine aktive Teilnahme an der Vorlesung ist nicht wirklich vorgesehen.
Diese Vorlesungen im Modellstudiengang der Humanmedizin an der UWH gibt es nicht. Vielmehr heißen hier die Vorlesungen "Sprechstunden" und dabei ändert sich nicht nur der Name, sondern auch das Konzept ist ein völlig anderes. Die Sprechstunde soll einen Dialog zwischen Dozierenden und Studenten schaffen und somit einen interaktiven Unterricht ermöglichen. Um dies so angenehm wie möglich zu gestalten, sind die Sprechstunden auf ca. 20-25 Teilnehmer begrenzt (in Ausnahmefällen 40) und dauern in der Regel 45-60 Minuten. Diese Vorgaben gelten für alle vorklinische Fächer – so auch für das Fach Anatomie.
Ablauf der Sprechstunde
Schon im ersten Semester ist die Anatomie ein wesentlicher Bestandteil im Stundenplan. Da an der UWH das Lehrkonzept POL angewandt wird (hierzu mehr in einem anderen Beitrag), beschäftigt sich jede Anatomie Stunde mit einem Organsystem oder einem Gelenk.
Dabei läuft die Sprechstunde folgendermaßen ab: Die Studenten haben sich im besten Fall mit dem "Organ der Woche/Gelenk der Woche" auseinandergesetzt und kommen nun zur Sprechstunde. Der Dozent beginnt die Sprechstunde, indem er ganz offen Fragen sammelt, die sich bei der Eigenrecherche ergeben haben. Da sich die Anatomie mit dem Aufbau des Körpers beschäftigt, sind das beispielsweise Fragen wie „Wie ist das Herz aufgebaut? Welche Gefäße versorgen das Herz?“ oder speziellere Fragen wie: „Was sind die Herzohren und wo sind diese?“. Der Dozent sammelt diese Fragen am Whiteboard, damit er im späteren Verlauf auf diese eingehen kann.
Im nächsten Schritt folgt eine Präsentation des Dozenten über den Aufbau des Herzens. Er erzählt noch einmal, welche Lernziele er für diesen Patientenfall als wichtig empfindet und welche Unterlagen er dementsprechend dabeihat.
Nun erarbeiten die Studierenden und der Dozent gemeinsam die Strukturen anhand von Bildern, Modellen oder anderen Medien. Dieses interaktive Erarbeiten der Anatomie soll den Studierenden helfen, sich dieses recht theoretische Wissen einfacher zu merken und auch zu behalten. Hierbei hilft auch oft der Patientenfall. Wenn der Patient in der POL-Stunde einen Herzinfarkt hatte bzw. die Verdachtsdiagnose eines Herzinfarktes im Raum steht, kann die Schädigung erst verstanden werden, wenn man weiß, welches Gefäß wo entlangläuft und welches Gebiet des Herzens versorgt. Deshalb kommt es allerdings auch oft vor, dass man erst bei der Eigenrecherche oder in der Sprechstunde die endgültige Diagnose des Patienten erarbeitet. Die Dozenten sind in diesem Zuge dazu angehalten, die Diagnose des Patienten nicht zu verraten, sondern durch ihren Unterricht in eine bestimmte Richtung zu leiten, damit der Student selbst diese erfasst und auch im Anschluss erklären kann, wieso diese für ihn die richtige ist.
Während dieser Sprechstunde haben die Studierenden jederzeit die Möglichkeit, Fragen zu stellen, falls etwas nicht klar sein sollte. Wenn am Ende der Präsentation noch Fragen, die zu anfangs gestellt worden sind, offengeblieben sind, wird der Dozent diese nun beantworten und auch versuchen zu veranschaulichen. Nach der Sprechstunde sollten optimalerweise keine Fragen mehr offen sein.
Somit wird in jeder Woche die komplette Anatomie eines bestimmten Körpersystems erarbeitet.
In der Anatomie-Sprechstunde habe ich oft noch einmal meine Notizen ergänzt bzw. Themen notiert, welche ich mir noch genauer anschauen sollte. Deshalb ist mein Tipp: Hier auf jeden Fall vorher viel Eigenarbeit leisten, um von der Stunde optimal profitieren zu können und auch die Möglichkeit zu haben, sich schwierigere Fragen (beispielsweise, wie sieht das ganze System eigentlich in 3-D aus?) erklären zu lassen.
Auf jeden Fall hilft der interaktive Prozess nicht nur für das Kurzzeitgedächtnis zu lernen, sondern auch die wichtige Anatomie im Langzeitgedächtnis abzuspeichern - ganz nebenbei macht das Lernen in diesem Format auch viel mehr Spaß!
Autorin: Saher Dilshad