In meinem ersten Bericht habe ich dir erzählt, wie der Simulationspatientenkontakt für mich ablief. In diesem Bericht möchte ich nun zum Realpatientenkontakt kommen, der etwas anders ablief (durch die Coronapandemie) als eigentlich geplant.
In der Coronapandemie wurden viele Scheine weiterhin angeboten. Diese mussten jedoch aufgrund der Klinikauslastung etwas umfunktioniert werden. Als ich meinen Realpatientenkontakt im fünften Semester ablegen wollte, wurde der RPK nicht mehr so angeboten wie geplant. Während der Pandemie habe ich jedoch versucht, viele Scheine, die umfunktioniert wurden, zu schieben, bis diese in ihrer gewohnten Form wieder angeboten wurden. Ich habe nämlich oft das Gefühl gehabt, dass die Ersatzleistungen entweder viel anspruchsvoller und strenger bewertet wurden oder aber nicht ganz durchdacht waren, weshalb es letzten Endes zu vielen Unstimmigkeiten kam. Ich wollte in meinem Studium so viel wie möglich mitnehmen und nicht nur die Scheine abhaken, weshalb ich mich letzten Endes zu diesem Schritt entschieden hatte. Dies war jedoch bei diesem Schein nicht möglich, da das fünfte Semester eigentlich das letzte Semester war, um den RPK zu machen, sodass ich die Ersatzleistung erbringen musste. Ich meldete mich dafür verbindlich an und bekam das 5-seitige Worddokument zum Bearbeiten zugeschickt. Dieses bestand aus unterschiedlichen Fragen, die ich beantworten sollte und bis zum Fristende einreichen musste.
Primär ging es bei den Fragen um die Selbstreflexion von klinischen Erfahrungen. Dies war für mich zu diesem Zeitpunkt meines Studiums noch etwas schwierig, da ich kaum Erfahrungen gesammelt hatte und noch nicht von vielen einschneidenden Erlebnissen berichten konnte. Nichtsdestotrotz versuchte ich die Fragen so gut wie möglich zu beantworten, wobei ich dabei sehr oft auf das 6-monatige Pflegepraktikum zurückgriff. Die erste Frage zielte auf meine Wahrnehmung ab. Ich sollte berichten, wann ich bei einem Patienten tiefe Emotionen wahrgenommen hatte und wer in dieser Situation dabei gewesen war. Ich sollte die Situation in eigenen Worten wiedergeben und erklären, welche Erfahrung zu diesen Emotionen geführt hatte. Für diese Antwort musste ich ziemlich lange nachdenken. Letzten Endes erinnerte ich mich an mein erstes Mal im OP-Saal. Dies war der gynäkologische OP-Saal in meiner Zeit als Pflegepraktikantin gewesen. Ich durfte das erste Mal einen Kaiserschnitt miterleben und die Eltern beobachten. Ich glaube, es gibt kaum so viel positive Emotionen im Krankenhaus wie bei einer Geburt. Diese Situation hat mich enorm berührt.
Im nächsten Absatz sollte ich nun meine Rolle bei diesem Ereignis beschreiben. Die Fragen zu meiner Rolle klangen jedoch ein wenig so, als wären die Emotionen, die vielleicht mein Patient empfunden hatte, eher negativ. Das kann ich verstehen, denn oft kriegt man im Krankenhaus eher schlechte Nachrichten mitgeteilt als gute. Trotzdem bemühte ich mich, die Frage so gut es geht zu beantworten. Meine Rolle als Praktikantin war keine sonderlich große gewesen. Doch ich muss ehrlich sagen, dass es mir in diesem Moment schwerfiel, meine eigene Professionalität zu bewahren und mich nicht zu sehr von meinen Emotionen leiten zu lassen. In diesem Moment bemerkte ich, wie schwierig das manchmal sein kann. Auch bei schlechten Nachrichten muss ein Arzt den richtigen Grad an Anteilnahme und Professionalität erbringen. Das ist gar nicht so einfach und ich denke, dass man das vor allem anfangs erst mal erlernen muss.
Die nächsten Fragen im Word Dokument waren dann wieder verallgemeinernd gestellt und sollten mir vor allem zeigen, wie ich mit solchen Themen umgehen kann. Wie kann ich beispielsweise mit Patienten umgehen, die wütend auf mich sind? Kann ich mir Hilfe bei Kollegen suchen, wenn mich die Situation und die Emotionen überfordern und wie kann ich entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist? Wie kann ich denn ein solches Gespräch mit meinen Kollegen überhaupt anfangen? Diese Fragen waren enorm schwierig, doch sie erfüllten ihren Zweck. Ich fing an, darüber intensiv nachzudenken und merkte, dass hier eine große Lücke und ein großes Tabu im Krankenhaus herrscht. Viele Ärzte fühlen sich, als wären sie auf sich allein gestellt. Der Klinikalltag ist schon schwer genug, weshalb der Raum für solche Themen oft nicht gegeben ist und leicht in Vergessenheit gerät. Das führt jedoch dazu, dass man sich immer schlechter fühlt und mit diesem Thema nicht umgehen kann. Entweder wirken dann die Ärzte sehr distanziert und unnahbar oder überemotional und als hätten sie vergessen, wer sie in dieser Situation eigentlich sind.
Einer der besten Fragen in diesem Dokument fand ich die Frage, wie ich selbst in der Vergangenheit mit emotionalen Patienten umgegangen bin und welche meiner Reaktionen ich dabei als hilfreich empfand und welche mir zeigten, dass ich an mir selbst arbeiten muss. Die Frage half mir meine guten, aber auch schlechten Reaktionen zu reflektieren und diese durch das Verschriftlichen bewusster wahrzunehmen.
Ich habe durch diese Aufgabenstellungen viel mehr gelernt, als ich anfangs tatsächlich angenommen hatte. Natürlich haben sie letzten Endes den Realpatientenkontakt nicht ganz ausgleichen können, doch tatsächlich hat die Universität bei dieser Ersatzleistung ein sehr gutes und durchdachtes Konzept gefunden, sodass ich das Gefühl habe, den Schein gut bestanden zu haben und dabei auch etwas gelernt zu haben.