Es klingt vielleicht im ersten Moment seltsam, doch das im 7. Semester stattfindende Leichenschaupraktikum war eines der Highlights meines Studiums. Nach einigen Einheiten an theoretischem Wissen zur Rechtsmedizin ging es schließlich in die Praxis. Dafür mussten wir eine ziemlich weite Anfahrt von 80 Kilometer auf uns nehmen und zum Institut für Rechtsmedizin zu fahren. Dort angekommen, wurden wir vor Ort in zwei Gruppen von circa 10-12 Studenten eingeteilt.
Ich ging in der ersten Gruppe mit, die mit dem theoretischen Teil begann. Dieser war sehr interessant. Wir lernten die Arbeit der Rechtsmedizin vor Ort kennen, wie man eine Obduktion macht und wie man echte Kriminalfälle aufdecken kann. Die Arbeit der Rechtsmediziner erfolgt nämlich sehr eng mit der Polizei zusammen und man ist als Arzt oft mehr in den Fall involviert, als Du im ersten Moment denken würdest. Dabei wurde auch ein wenig die Geschichte der Kriminalfälle näher erläutert. Hier waren vor allem die Meilensteine in der Entwicklung der Rechtsmedizin relevant, beispielsweise wie die ersten DNA-Auswertungen aussahen, welche Datenbanken heute zur Verfügung stehen und wo man überall Spuren sichern kann. Das war enorm interessant und ich war überrascht, wie viel mit den heutigen Technologien möglich ist. In diesem Zuge wurden uns auch die Unterschiede zwischen den Datenbanken in Deutschland und den USA aufgezeigt. Oft hat man in Deutschland aufgrund des Datenschutzes nicht auf alle Daten Zugriff, während der Datenschutz in den USA bei Kriminalfällen anders ausgelegt wird. Ich muss sagen, dass mich schon der theoretische Teil sehr reizte und ich in diesem Moment tatsächlich mit dem Gedanken spielte, weiter in die Materie einzudringen und der Rechtsmedizin als Fach eine Chance zu geben.
Nach diesem Teil ging es dann in die Praxis. Wir sollten uns hierbei mit echten Leichen beschäftigen und durften uns diese unter Aufsicht genauer anschauen. Hier hatten wir die Möglichkeit, die sicheren Todeszeichen zu prüfen, wie die Muskelstarre oder Todesflecken. Währenddessen konnten wir alle möglichen Fragen stellen, wie beispielsweise wann man eine Leiche obduziert, an was die vorliegende Leiche verstorben war, wie lang die Leiche hier aufbewahrt werden und wie sich die Arbeit als Arzt in diesem Institut gestaltet. Der Arzt war sehr erklärungsfreudig, zeigte uns vieles und motivierte uns, die Sachen selbst auszuprobieren. Da dieser Abschnitt so interessant war, vergaßen wir auch die Zeit und überzogen diese sogar. Am Ende musste uns der Rechtsmediziner sogar etwas bremsen, damit wir rechtzeitig rauskommen.
Am Ende – nach dem sicheren Verwahren der Leiche – standen wir im Vorraum und besprachen die Verwesung eines Menschen. Da wir uns überhaupt nicht vorstellen konnten, wie verwest eine Leiche aussehen kann, fragten wir, ob der Rechtsmediziner im Moment eine solche vor Ort hatte. Er bejahte dies und wir bekamen die Möglichkeit, uns auch diese anzuschauen. Das war ein ziemlich erschreckendes und sehr einprägsames Erlebnis. In diesem Moment wurde uns dann auch klar, wie schwer es ist, eine verweste Leiche zu identifizieren und woran diese Schwierigkeit sich festmacht.
Der Tod gehört zum Leben dazu und ist im Arzt Dasein ein nicht zu unterschätzender Begleiter bei der Behandlung von Patienten. Es ist wichtig, dass wir alle wissen, was auf uns zukommt beziehungsweise zukommen kann. Wir sind nämlich diejenigen, die den Tod feststellen und einen Totenschein ausstellen. Dafür müssen wir uns mit diesen auseinandersetzen können und auch bei einem soeben Verstorbenen die Nerven bewahren. Es gibt kaum einen Fachbereich, in dem wir nicht damit konfrontiert werden und mit den Angehörigen auseinandersetzen müssen.
Ich war sehr froh über dieses Praktikum, da es einer der sehr kleinen Momente im Studium war, in dem wir uns mit dem Tod als Hauptschwerpunkt konfrontiert sahen. Allein das Interesse von uns allen spiegelte auch wider, wie groß unser Bedarf war, mehr Information dazu zu bekommen. Ich habe sehr viel vom Praktikum profitiert und die Angst vor einer Leiche ablegen können. Natürlich solltest Du dem Verstobenen den gebührenden Respekt erweisen, doch man sollte nie seine Arbeit aus den Augen verlieren. Es ist ein schmaler Grat, die richtige Anteilnahme zu zeigen, aber auch seinen Job so gut wie möglich zu machen.
Autorin: Saher Dilshad