Die zentrale Notaufnahme: Action, Stress, der Kampf um Leben und Tod à la Emergency Room und Grey’s Anatomy. Das erhofft man sich oft als Student, wenn man sich für eine Famulatur in der zentralen Notaufnahme entscheidet. Der Alltag sieht zumindest in Deutschland meistens etwas anders aus.
Die Notaufnahme ist ein Ort, an dem ungefiltert Patienten aus allen möglichen Fachdisziplinen ankommen und behandelt werden wollen. Der Großteil davon klagt dabei über Symptome, die nicht unbedingt eine Notfallbehandlung erfordern, sondern auch von einem niedergelassenen Arzt behandelt werden könnten. Jedoch wird in der Notaufnahme kein Patient abgewiesen, jeder wird anamnestiziert und untersucht. Und das ist auch schon der meiner Meinung nach wichtigste Punkt, warum eine Famulatur in der Notaufnahme für Medizinstudenten ein Highlight sein kann. Nirgendwo sonst bekommst Du die Möglichkeit, so viele verschiedene Patienten in so kurzer Zeit zu untersuchen. Und je nachdem welche Fachdisziplinen in der Klinik vertreten sind, erhältst Du so auch die Chance, Anamnese und Untersuchung für Fächer zu üben, in denen Du unter Umständen bisher nicht viel Zeit verbracht hast - zum Beispiel HNO, Urologie oder Neurologie. Deswegen mein Tipp: Schau Dir nicht nur internistische oder chirurgische Patienten an, sondern nutze die Gelegenheit, um Deine grundlegenden Fähigkeiten in anderen Fächern zu üben.
Aber wie läuft es in einer Notaufnahme eigentlich ab?
Die Patienten kommen auf zwei Wegen in die Ambulanz: entweder fußläufig oder mit dem Rettungsdienst bzw. Krankentransport. Man könnte meinen, dass Patienten, die mit dem Rettungsdienst ankommen, schwerwiegender erkrankt seien als die Fußläufigen, aber das muss nicht unbedingt der Fall sein. Versuche unvoreingenommen an jeden Patienten heranzutreten und denke bei Deiner Untersuchung daran, gefährliche Verläufe möglichst schnell auszuschließen, wenn es Hinweise darauf geben sollte.
Wenn die Patienten aufgenommen werden, wird versucht, ein Leitsymptom zu definieren, um ihn einer Fachrichtung zuzuordnen. Zum Beispiel: Ein Patient mit „Luftnot und Husten“ wird vermutlich der Fachrichtung Pneumologie zugeordnet und dementsprechend von einem Internisten zuerst angesehen. Ein Patient mit „thorakalen Schmerzen“ als Leitsymptom ist da schon etwas schwieriger einzuordnen. Thorakale Schmerzen können auf ein kardiales Problem hindeuten, aber auch mit dem Bewegungsapparat, der Lunge, den Gefäßen oder mit der Psyche zusammenhängen. Für den Arzt ist also nicht nur wichtig, sein eigenes Fachgebiet zu kennen, sondern auch einschätzen zu können, welche Fachrichtung bei entsprechender Anamnese vielleicht eher die Behandlung übernehmen sollte. Wie Du siehst, ist die Differenzialdiagnostik und die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der zentralen Notaufnahme das A und O. Schaue Dir zur Vorbereitung auf Deine Famulatur also vielleicht einmal die häufigsten Leitsymptome mit Diagnostik und Differenzialdiagnosen an.
Die Notaufnahme ist ein großartiger Ort, um seine Anamnese- und Untersuchungsfähigkeiten zu üben. Doch seien wir ehrlich, haben wir uns nicht alle für eine Famulatur in der ZNA entschieden, um später genauso coole Geschichten erleben zu können, wie wir sie im Fernsehen sehen? Wo sonst untersucht man von sechs riesigen Polizisten umzingelt die Hand eines Inhaftierten, der seine Wut an einer Wand ausgelassen hat? Oder hält die Bauchwand eines kleinen Mädchens zusammen, das bei einer Klassenfahrt von einem Baum gestürzt und an einem Ast hängen geblieben ist? Oder zieht eine riesige Scherbe aus dem Nacken einer jungen Frau, welche rückwärts durch eine Glastür gefallen ist? Dies sind alles Dinge, die ich während meiner Zeit in diversen Notaufnahmen bereits erlebt habe. Und auch wenn die Lernmöglichkeiten dabei relativ begrenzt waren, so sind das doch die Fälle, die einem in Erinnerung bleiben und nicht unbedingt das zehnte verdrehte Sprunggelenk an dem Tag. Zwischen den alltäglichen Fällen finden sich also hin und wieder verrückte und beeindruckende Situationen.
Je nach der Größe der ZNA und dem Zuführungsgebiet hast Du vielleicht auch die Möglichkeit einer Schockraumversorgung beizuwohnen. Der Schockraum ist für Studenten oft ein Drahtseilakt zwischen Helfen-Wollen und Nicht-im-Weg-Stehen. Da ein schockraumpflichtiger Patient meistens vorher angekündigt wird, nutze die Chance, um mit einem beteiligten Arzt durchzusprechen, wie und wo Du helfen kannst bzw. wie Du Dich zu verhalten hast. Jede Klinik ist anders, je nach Personal und internen Regeln bist Du mehr oder weniger aktiv beteiligt. Wenn Du noch nie bei einer Versorgung im Schockraum dabei warst, kann das erste Mal etwas überfordernd sein. Erfahrenes Personal geht das Versorgungsschema so schnell durch, dass Du als Neuling leicht etwas verpasst. ABCDE, Bodycheck, FAST-Sonographie, Zugänge, Röntgen, CT. Deswegen: Mache Dich mit dem ABCDE-Behandlungsschema vertraut, sodass Du dem Ablauf folgen kannst. Meiner Erfahrung nach kann ich sagen: Jede Klinik, jeder Schockraum, jedes Personal und jeder Patient ist anders, was es für Studenten oft schwierig macht, einzuschätzen, wie sie sich verhalten sollen. Auch nach vielen verschiedenen Notaufnahmen muss ich mich immer noch in meiner Rolle jedes Mal neu einfinden. Aber lasse Dich dadurch nicht abschrecken! Nutze diese Chancen. Es gibt immer etwas zu lernen, egal ob die Versorgung optimal gelaufen ist oder bei der Zusammenarbeit noch Raum für Verbesserung ist. Idealerweise wird mit dem Personal im Anschluss eine gemeinsame Besprechung durchgeführt, an welcher Du möglichst teilnehmen solltest.
Zum Schluss möchte ich Dir noch ein paar Ratschläge für Deine Famulatur mit auf den Weg geben, welche für mich die Zeit in der Notaufnahme zu einer der besten meiner medizinischen Ausbildung gemacht haben.
Stell Dich bei jedem vor, im Zweifel auch zweimal. Sei höflich und respektvoll gegenüber dem Personal und den Regeln in der Klinik. Oft ergeben sich dadurch mehr Lernmöglichkeiten.
Zeige Initiative! Anamnestiziere und untersuche so viele Patienten wie möglich. Wenn Du zeigst, dass Du den Patientenumgang und die Untersuchungen gut beherrschst, reicht den Ärzten vielleicht die Rücksprache mit Dir und sie lassen Dich die Behandlung übernehmen. Es gibt keine bessere Lernmöglichkeit für die spätere Tätigkeit als Arzt.
Üben, üben, üben. Du bist noch nicht so fit im Legen von Zugängen? Das ist Deine Chance! In Absprache mit dem Personal kannst Du hier angeleitet werden und hast zahlreiche Gelegenheiten, Deine Fertigkeiten zu trainieren. Deine Einzelknopfnähte sitzen noch nicht so perfekt? In der ZNA gibt es immer jemanden, der genäht werden muss.
Fühle Dich nicht schlecht, wenn Du Dir spannende Fälle wünschst. Man ist oft hin- und hergerissen: Einerseits möchte man unbedingt mal die Versorgung eines Polytraumas sehen, andererseits wünscht man natürlich keinem Menschen dieses Erlebnis. Es ist vollkommen normal, dass Studenten etwas Aufregendes sehen wollen. Das geht uns allen so und meiner Meinung nach ist das nichts, wofür Du Dich schlecht fühlen musst. Aber vielleicht solltest Du Deinen Wunsch nicht lauthals in der ZNA verkünden, das Personal sehnt sich nämlich meistens eher nach ruhigen Tagen.
Und zu guter Letzt: Habe keine Angst! Es ist völlig normal, sich am Anfang überfordert und unerfahren zu fühlen - besonders, wenn es die erste Famulatur ist. Wenn Du Dir bei etwas nicht sicher bist, fragt nach. Niemand wird Dir dafür den Kopf abreißen. Du bist ja schließlich dort, um zu lernen. Wenn Du an dem Tag etwas nicht wusstest, sieh dies als Motivation und schau es Dir danach noch einmal genauer an. Die Famulatur ist das, was Du daraus machst.
Autorin: Miriam Leurs