Klinisches Wahlfach in der Kinderonkologie

Wenn man eine Person, die sich für das Medizinstudium interessiert, fragt, wieso sie Medizin studieren möchte, hört man oft: „Weil ich den Menschen helfen möchte“. Dabei vergessen jedoch viele, dass man in diesem Job leider sehr oft mit dem genauen Gegenteil konfrontiert wird, nämlich dem Tod. Jeder Arzt entwickelt im Laufe seines Berufslebens seine eigenen Strategien, um damit umzugehen, denn das eine Konzept oder die eine Bewältigungsstrategie gibt es bedauerlicherweise nicht. Desto früher Du Dich als Medizinstudent damit auseinandersetzt, desto leichter fällt der Umgang im späteren Berufsleben.

Da ich mich für den Fachbereich Kinderheilkunde interessiere, wollte ich mich diesen beiden Themen intensiver widmen. Ich beschloss deshalb das klinische Wahlfach in der Kinderonkologie im Klinikum Dortmund abzuleisten.

Aber fangen wir von vorne an: Was genau ist das klinische Wahlfach? In der klinischen Phase des Studiums sind zahlreiche Pflichtfamulaturen zu absolvieren. Darunter fällt auch das klinische Wahlfach, welches benotet wird. Du brauchst es, um für das zweite Staatsexamen scheinfrei zu werden. Es ist ähnlich wie eine Famulatur und kann in einem beliebigen Krankenhaus und in einer beliebigen Fachrichtung abgeleistet werden. Zuvor muss ein Antrag an die Klinikkoordination der Universität gestellt werden, um dieses im gewünschten Krankenhaus abzuleisten.

Der Tod ist ein ständiger Begleiter des Arztberufes, jedoch kommt dieses Thema im Studium leider viel zu kurz. Ich wollte wissen, wie ich mit diesem Thema in Bezug auf Kinder − die doch eigentlich so viel Leben ausstrahlen − umgehen kann. Sollte ich mich später tatsächlich für die Kinderheilkunde als Fachbereich entscheide, kann ich dann mit einem solchen Thema überhaupt umgehen? Wie ist es, mit schwer kranken Kindern zu arbeiten? Wie geht man mit den Eltern um? Komme ich mit der psychischen Belastung klar oder ist mir das doch zu viel? Das waren einige der Fragen, die ich mir vor dem Wahlfach gestellt habe.

Der Dienst in der Kinderonkologie begann jeden Morgen um 8 Uhr auf der Station, mit der Übergabe des Nachtdiensts der onkologischen Patienten an die Stationsärzte. Dabei wurden auch Neuaufnahmen aus der Nacht weitergeben, wobei diese oft schon bekannte Patienten waren, die nun akut mit Fieber oder Infekten in die Klinik kamen. Im Rahmen ihrer Krebserkrankung ist eine zu hohe Temperatur sehr gefährlich, weshalb die Eltern dazu angehalten sind mit den Kindern in die Klinik zu kommen, wenn die Körpertemperatur über 38,5° steigt. Hier gilt sehr klar das Motto, lieber einmal zu viel als einmal zu wenig.

Danach starteten wir, nach einer kurzen Besprechung mit der Pflege, in den Tag. Ein absolutes Highlight und speziell für die Onkologie waren die am Vormittag durchgeführten Lumbalpunktionen und Knochenmarkspunktionen. Sie wurden in der Regel von den Assistenzärzten in Begleitung eines Oberarztes durchgeführt. Nachdem ich mich eingearbeitet hatte, durfte ich sogar selbst eine Lumbalpunktion bei einem Kinder durchführen. Natürlich unter Anleitung und Supervision eines Oberarztes, jedoch war das eines meiner “schönsten“ Erlebnisse im Wahlfach und ich war sehr aufgeregt. Da ich schon einige Male zugeschaut hatte, wusste ich wie der Ablauf der Punktion ist, jedoch war das Erlebnis selbst die Nadel zu halten, diese richtig einzuführen und zu sehen, wie der Liquor rausläuft ein wirklich einmaliges Erlebnis, welches ich nie vergessen werde. Ich bin sehr dankbar, dass man mir dieses Vertrauen geschenkt hat und mich so gut angeleitet hat.

Sinn dieser Punktionen ist das Ansprechen auf die Chemotherapie zu überprüfen, um dementsprechend die Therapie nach Schema weiterplanen zu können oder aber akut bei einem Patienten, um die Diagnose einer Leukämie (Blutkrebs) stellen zu können. Die Leukämie ist einer der häufigsten Krebsarten, die im Kindesalter vorkommen, weshalb auf der Station oft Kinder mit dieser Diagnose lagen.

Nach diesen Punktionen folgte die Visite, wobei hier morgens immer die Lunge und das Herz bei jedem Kind nochmal abgehört werden. Da konnte ich meine bis jetzt erworbenen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Nach der Visite wurden Arztbriefe diktiert bzw. geschrieben. Hier hatte ich die Möglichkeit selbst nochmal strukturiert das richtige Schreiben eines Arztbriefe zu erlernen. Oft wurden im Rahmen der Erstdiagnostik auch EKGs durchgeführt. Meine Aufgabe war es, diese dann im Anschluss auf der Station zu befunden und meinen Befund zu verschriftlichen. Danach kam der Oberarzt vorbei und es wurde eine Kurvenvisite gemacht. Chefarztvisite war immer freitags.

Jeden Tag fand mittags eine Besprechung mit den anderen pädiatrischen Stationen statt, um auf den neuesten Stand der Klinik zu kommen. Des Weiteren fand jeden Mittwoch zusätzlich zur Mittagszeit die Tumorkonferenz statt, in der alle relevanten Patienten diskutiert wurden und der weitere Therapieplan dieser. Diese Konferenz war sehr spannend mitzuerleben und hier wurden auch Patienten, die in der Woche verstorben waren, nochmal aufgegriffen und besprochen. Das war für mich selbst sehr wichtig, um zu sehen, wie andere Ärzte mit dem Tod umgehen.

Nach der Mittagspause konnte ich am Unterricht der PJler teilnehmen und noch weiter Stationsarbeit erledigen. Die geplanten Aufnahmen (oftmals zur Chemotherapie) kamen meistens nachmittags. Wobei ich dann oft die Kinder aufgenommen habe und das erste Gespräch geführt habe. Danach konnte ich im Rahmen der klinischen Untersuchung Blut abnehmen, was bei Kindern immer ein großes Highlight ist. Das Blut abnehmen bei Erwachsenen hatte ich in vielen Famulaturen zuvor schon gemacht, doch bei Kindern hatte ich sehr wenig Erfahrung damit. Speziell für onkologische Patienten ist es, dass diese oft einen direkten Zugang in der zentralen Vene liegen haben, über welchen auch die Chemo verabreicht wird. Man muss mit diesem Zugang unglaublich vorsichtig umgehen und sehr steril arbeiten. Das war ein weiteres Highlight für mich und das Erlernen der richtigen Durchführung hat viel Spaß gemacht!

Nach einem langen Tag voller Arbeit endete der Dienst jeden Tag um 16:30 Uhr.

Um eine Benotung meines Wahlfaches zu bekommen habe ich am letzten Tag beim Chefarzt eine Fallvorstellung gemacht, weshalb ich mich intensiv mit dem onkologischen Therapieplan auseinandergesetzt habe und obwohl ich noch nicht alles verstanden habe einen groben Überblick über die Schemata bekommen habe.

Der Block war insgesamt sehr lehrreich und ich habe einen guten Einblick in die spezielle Onkologie und auch in die spezifischen Therapiepläne bekommen.

Alle Assistenzärzte waren sehr hilfsbereit und haben mir vieles gerne und geduldig erklärt. Ich hatte immer wieder die Möglichkeit Fragen zu stellen und diese wurden gut beantwortet. Das Arbeitsklima in Dortmund ist sehr angenehm und man fühlt sich sehr gut aufgehoben.

Wer die Kinderonkologie auf höchstem Niveau und mit einem gutem Arbeitsklima kennenlernen möchte, sollte das Klinikum Dortmund auf jedem Fall in Erwägung ziehen.

Nach Abschluss des klinischen Wahlfaches reflektierte ich meine vorausgegangenen Fragen und überlegte, ob und wie ich diese im Laufe der vier Wochen beantwortet bekommen habe.

Der Umgang mit so schwer kranken Kindern ist mir nicht leichtgefallen, jedoch hat mir hier der Austausch mit den Kollegen sehr gutgetan. Nichtsdestotrotz haben die vier Wochen nicht ausgereicht, um wirklich differenziert auf die onkologischen Patienten und ihre Eltern zu schauen, ohne sich emotional zu sehr zu verwickeln. Dies ist, wie ich bemerkt habe, eine Sache der Erfahrung. Einige junge Assistenzärzte haben sich damit ebenfalls schwergetan und ich habe ein paar Mal erlebt, dass im Ärztezimmer nach einem doch unerwarteten Tod eines Patienten einige Tränen geflossen sind. Der Grad zwischen Anteilnahme und Professionalität ist in diesem Fachbereich enorm klein und braucht Zeit, um sich auszubilden. Es ist vor allem schwierig, dass viele Kinder ihre Erkrankung nicht verstehen und das Leben so leben wie bisher. Das kann einerseits sehr erfrischend sein und man vergisst schnell, in welcher Situation die Patienten stecken, andererseits kann es hinterher sehr belastend sein zu wissen, dass die Chancen nicht gut stehen und die Kinder dies in ihrer kindlichen Naivität nicht wahrnehmen. Ich habe manchmal nach dem Diensttag zu Hause gesessen und oft über diese Patienten nachgedacht. Dabei habe ich für mich gelernt, dass ich mich unbedingt darüber unterhalten muss, ansonsten ist es enorm schwierig, mit einem solchen Thema abzuschließen.

Der Umgang mit den Eltern dieser Kinder wiederum war in manchen Punkten einfacher. Sie waren zwar interessiert an den nächsten Behandlungsschritten, hatten jedoch großes Vertrauen in die behandelnden Ärzte, weshalb man sich Zeit nehmen musste, die Behandlungen zu erklären, aber damit rechnen konnte, dass in vielen Punkten eingewilligt wird. In diesem Fachbereich ist die Kommunikation unheimlich wichtig, ansonsten ist das Behandeln der Kinder erschwert. Die Eltern sollten ernst genommen werden, aber man solle als Arzt hier auch lernen, ehrlich zu sein und nicht mit den Hoffnungen zu spielen. Die Fakten und Chancen müssen den Eltern mitgeteilt werden und trotzdem kann ihnen Mut gemacht werden, denn es gibt immer eine Chance auf eine vollständige Heilung.

Mein Fazit zu diesen Punkten ist also, dass ich mich zwar in diesem Fachbereich schwergetan habe, jedoch denke, dass ich den Umgang mit dem Tod lernen kann, weshalb ich mir vorstellen kann, später auch diesen Bereich in meiner Assistenzarztzeit intensiver anzuschauen.

Autorin: Saher Dilshad