Im 7. Semester wagte ich den Schritt und versuchte mich an einer Auslandsfamulatur. Dabei begleiteten mich im ersten Moment viele Ängste. Würde ich denn in einem anderen Gesundheitssystem arbeiten können? Kann ich die Leute verstehen? Wie ist das Team und wird sich die Famulatur überhaupt lohnen? Um meine Ängste zu minimieren, entschied ich mich, die Famulatur im deutschsprachigen Ausland zu machen. Dabei fiel meine Wahl auf das Klinikum Klagenfurt in Österreich. Den Fachbereich, indem ich unter anderem meine Famulatur machte, war die Kinder- und Jugendpsychiatrie, die gemeinsam mit der Kinderneurologie eine Abteilung bildet.
Bis dahin hatte ich noch keine reguläre Psychiatriefamulatur absolviert und auch wenig theoretisches Wissen über diesen sehr speziellen Bereich gesammelt.
Die Neurologie und Kinderpsychiatrie im Klinikum umfassten vier unterschiedliche Stationen. Diese sind nach dem Alter der Kinder sortiert. Ich durfte in die Kinderpsychiatrie, welche die 14- bis 18-Jährigen beherbergt. Das Besondere an dieser Station ist, dass sie sowohl eine offene als auch eine geschlossene Station ist. Patienten, die in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht werden müssen, bekommen vom Personal eine Uhr, die bei Öffnen der Ausgangstür piept und ein Signal an das gesamte Personal (inkl. Ärzte) sendet.
Morgens begann der Dienst mit einer Morgenbesprechung der Ärzte, Psychologen und einigen Pflegern aller Stationen. Da ein Assistenzarzt den Tag vorher den langen Dienst machte und damit ab 16 Uhr für alle vier Stationen zuständig war, übergab dieser primär in der Besprechung an die anderen Ärzte und berichtete über besondere Vorkommnisse. Nach dieser Besprechung blieb noch etwas Zeit, um schwierige Fälle und das weitere Vorgehen bei diesen im geschützten Rahmen zu besprechen. Die Patienten haben primär einen Arzt als Ansprechpartner und sollen sich bei akuten Problemen an diesen wenden. Dieser Arzt führt auch mit den Jugendlichen die psychologischen Gespräche und bespricht die Therapie mit Ihnen.
Nach dieser Runde gab es auf der Station einen Morgenkreis mit den Jugendlichen und dem Personal. Hier beantwortete jeder Jugendliche eine aus der Kiste gezogene Frage und auch die Frage, wie er sich im Moment fühlt. Am Ende der Runde wurde noch einmal gefragt, ob einer der Patienten für den heutigen Tag ein Beratungsgespräch braucht. Danach wurde die Runde aufgelöst. Im Anschluss folgten für die Jugendlichen ihre speziellen Therapien wie die Maltherapie oder Physiotherapie und die Ärzte konnten Einzelgespräche mit den Patienten, die im Moment keine Therapie hatten, führen.
Diesen Gesprächen konnte ich als Famulantin sehr oft beiwohnen. Dabei konnte ich verschiedene Krankheitsbilder wie Depressionen, Schizophrenie, Mordgedanken und Anorexie näher kennenlernen. Die Gespräche waren oft sehr persönlich und ich habe dabei viel im Bezug auf Gesprächstaktiken gelernt. Denn hierbei durfte ich selbst in Gesprächen Rückfragen stellen. Viele Jugendliche hatten Probleme, eine Tagesstruktur zu finden. Durch Corona war die Schule größtenteils weggefallen, die ihnen viel Struktur vorgegeben hatte und die Jugendlichen und ihre Eltern kamen mit der neuen Situation nicht mehr zurecht. Die Aufgabe der Psychiater war es also vor allem eine Tagesstruktur mit den Jugendlichen zu entwickeln. Oft waren diese anfangs voreingenommen und nicht wirklich gesprächsbereit. Sich in diesem Punkt “durchzukämpfen“ und den Jugendlichen immer wieder ohne Frustration zu begegnen, war für mich sehr schwierig und brachte mich oft an meine Grenzen. Die Ärzte, die diese Autorität und Souveränität ausstrahlten, habe ich deshalb umso mehr bewundert.
Nachmittags fanden oft Familiengespräche statt. Auch diese mitzuverfolgen ist für mich sehr wichtig gewesen, um damit die Gruppendynamik und das Umfeld des Patienten besser beurteilen zu können. Nach diesen Gesprächen hatte ich oft ein kurzes Feedbackgespräch mit meiner Anleiterin. In diesem konnte ich weitere Fragen stellen und auch meine Beobachtungen schildern.
Fazit:
Insgesamt würde ich die Kinderpsychiatrie als ein sehr konservatives Fach bezeichnen, indem eine Erkrankung nicht durch eine Operation oder einfache Medikamente geheilt werden kann, sondern die Anamnese im Vordergrund steht. Ich hatte schon vorher vermutet, dass dies, so sein wird. Trotzdem war ich überrascht, dass dieses Fach sich doch so stark von anderen Fachbereichen der Medizin unterscheidet und bis jetzt wenig in unserem Studienformat gelehrt wird. Die Studenten, die ein operatives Fachgebiet für sich ausschließen, sollten sich die Kinder- und Jugendpsychiatrie auf jeden Fall einmal anschauen. Aber auch anderen kann ich empfehlen, eine Famulatur hier zu absolvieren, denn viele Erkrankungen haben eine psychische Komponente, die manchmal nicht so einfach zu erkennen ist. Mit dem Erlernen der richtigen Gesprächstaktiken kannst Du Dir viele Erstanamnesen auch in anderen Fachbereichen erleichtern.
Die Famulatur in Klagenfurt hat mir viel Spaß gemacht und auch neue Erkenntnisse geliefert. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, eine gute Kommunikation zwischen dem Team und auch zwischen Ärzten und Patienten zu haben. Diese kann vor allem durch lange Gespräche aufgebaut werden.
Auch die Stadt Klagenfurt kann ich empfehlen. Da meine Arbeitszeit bis circa 15 Uhr gingen, konnte ich viel am Nachmittag oder abends unternehmen und diese wunderschöne Stadt erkunden. Wer hier einen Halt macht, sollte sich unbedingt den Wörthersee ansehen!
Autorin: Saher Dilshad